Naturschutzgebiet Zollbahnhof

Der Zollbahnhof im Jahr 2004

Feld-Beifuß, Mauer-Hungerblümchen, Dreifinger-Steinbrech, Bauernsenf oder Hunds-Braunwurz: Namen von Pflanzen, die heute eigentlich nur noch Kennern der Materie geläufig sind. Selten sind sie geworden, diese kleinen und unscheinbaren Blumen, die vorzugsweise auf trocken-heißen Böden gedeihen, so selten sogar, dass sie sich inzwischen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Pflanzenarten wiederfinden. Gemeinsam haben die genannten Spezies - und mit ihnen einige andere mehr - nicht allein, dass sie im Begriff sind, für immer zu verschwinden. In der saarpfälzischen Region finden sie sich zusammen in einem Landschaftsbestandteil, der selbst eine lange und höchst eigenwillige Geschichte aufweist, eine Geschichte, der stets neue Kapitel zugefügt werden müssen. Die Rede ist vom ehemaligen "Zollbahnhof" zwischen Homburg und dem heutigen Kirkeler Ortsteil Altstadt.

Über 20 Jahre ist es nun schon bald her, seit die Diskussionen um das Areal begonnen haben. Anlass dafür war damals das Vorhaben der Saarbergwerke, auf dem Gelände eine riesige Kohlehalde zu errichten. Umweltverbände wie der Altstadter Naturschutzbund, aber auch Kommunalpolitiker protestierten gegen dieses Projekt und hatten bald auch Erfolg - die schwarzen Berge wurden nicht vor den Toren der Stadt aufgetürmt. Umweltschützer und Wissenschaftler wurden vor diesem Hintergrund aber auf die besondere Artenvielfalt auf dem Zollbahnhof aufmerksam - und zogen fortan gegen die Planungen der saarländischen Landesregierung und der betroffenen Kommunen zu Felde, die gut 50 Hektar große Fläche mit Industrie zu bebauen. Ihr Argument: Der "Zollbahnhof" sei in einer Zeit, in der immer mehr Tier- und Pflanzenarten auf Nimmerwiedersehen verschwinden, ja wissentlich ausgerottet werden, eine wichtige Zufluchtsstätte für derart bedrohte Fauna und Flora.

Mit dieser Haltung befinden sich die Naturschützer quasi in guter Tradition, provozierte doch schon die Errichtung des Zollbahnhofes in den 1920er Jahren ebenso Proteste und Widerstand der einheimischen Bevölkerung wie einige andere Vorhaben zuvor. Wirft man einen Blick zurück in die Historie des Gebietes, so fällt auf, dass sich dort einmal ein vergleichsweise großer See befand. Beginnend in der Nähe des heutigen Lappentascherhofes reichte dieser "Schwarze Weiher" bis fast nach Beeden. Johann, "Graf zu Hohenburg und Herr zu der Felß" war es, der mit Datum vom 29. April 1434 für die urkundliche Ersterwähnung dieses Gewässers sorgte, als er "aus sonderlicher Liebe und Gunst" den Wörschweiler Klosterbrüdern "den halben Swarzenwag als Eigengut zu genießen gibt". Fürderhin gehörte den Zisterziensern die Hälfte der Fische, Krebse und Frösche im Schwarzen Weiher.
Mehr als drei Jahrhunderte später, 1763 genau, erwarb der Altstadter Bauer Jakob Bach eine Wiese, die sich "neben des Amtsschreibers Stutz aus Homburg neu angelegtem Hofgut am Schwarzweiher" befand. Diese Immobilie ging 1777 nach einer Urkunde, die die Unterschrift des Zweibrücker Herzogs Karl II. August, der später glücklose Herr über Schloss Karlsberg"", trägt, in den Besitz der "Oberhofmeisterin Carolina Augusta Freyfrau von Esebeck" über. Sie gab bei der Übernahme das Versprechen ab, das Gut sorgfältig wieder instandzusetzen, damit auch wieder ein Nutzen daraus gezogen werden kann. Wiederholt waren allerdings Anmahnungen notwendig, um der Mätresse des Landesherren auf die Sprünge zu helfen und die Zusage auch zu realisieren. Wie dem auch sei, französische Revolutionstruppen machten mit eifriger Unterstützung der einheimischen Bevölkerung anno 1793 aller Fürstenherrlichkeit hierzulande ein Ende, wobei auch das Schwarz-Weiher-Hofgut geplündert und zerstört wurde. 1805 - Napoleon hatte nun das Zepter fest in der Hand - ersteigerten zahlreiche Bauern aus Altstadt und Limbach Wiesen und Äcker aus den einst adeligen Besitztümern. Drei Jahre später sollten es dieselben Bauern sein, die als neue Landeigentümer auf die Palme gingen. Napoleon ließ nämlich den Schwarzen Weiher trocken legen, beim Bau seiner "Kaiserstraße" von Metz nach Mainz war ihm das Gewässer ein Hindernis. Für die einheimische Bevölkerung bedeutete dies einen herben Verlust, deckten sie doch einen Großteil ihres Nahrungsbedarfs aus dem Fischbestand des Weihers, und zudem wurden Wiesen und Felder von dem neuen Verkehrsweg durchschnitten. Ein Trostpflaster blieb: Wo sich einst der "Schwarze Weiher" ausgebreitet hatte, entstanden nun beiderseits der von Bäumen beschatteten "Kaiserstraße" neue Wiesen- und Ackerflächen.

Und just diese waren wie gesagt in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts erneut Anlass für weitere heftige Proteste der Altstadter Bauern. Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages von 1919 sollten ab 1925 an den Grenzen des Saargebietes zu Deutschland Zollschranken errichtet werden. In Altstadt wurde schon 1923 darüber informiert, dass auf dem bislang so fruchtbaren Land ein "Zollbahnhof" entstehen sollte. "Die Nachricht fand im Dorfe keine freudige Aufnahme. Die Bevölkerung wünschte keinen solchen Bahnhof. Auf keinen Fall wollte man dieses Projekt noch guten Boden opfern", beschrieb der spätere Präsident des saarländischen Landtages, Karl Germann, die ablehnende Stimmung vor Ort. Die Proteste blieben erfolglos. Grund und Boden mussten hergegeben werden. Aus der Rheinebene wurde riesige Mengen Kalkschotter angefahren, Hochofenschlacke aus der Eisenverarbeitung und Berge aus den Kohlegruben wurden zum Auffüllen herbei transportiert, Schluchten in den Sandsteinfels gesprengt, um ein für die Zwecke der Gleisanlagen brauchbares Areal nivellieren zu können - die moorigen, feuchten Wiesen allein hätten niemals Halt gebieten können für den großen Bahnhof an der Grenze, einer Grenze, der dann, als 1933 die Nazis im "Reich" die Macht übernahmen, eine wichtige Rolle für die Gegner der Diktatur und Barbarei zufiel. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass in dem Arbeiterdorf Altstadt traditionell die Kommunisten die Hauptrolle in der politischen Szenerie spielten und die KP im Gemeinderat die stärkste Fraktion stellte. Der erklärte Kommunist Eduard Buschlinger und seine Frau Carola gewährten zwischen 1933 und 1935 politischen Flüchtlingen aus Deutschland Zuflucht, die über den Zollbahnhof ins Saargebiet eingeschleust wurden. Als Bahnbediensteter war Buschlinger aber auch auf andere Art und Weise in der illegalen Grenzarbeit aktiv; ganze Waggonladungen von antifaschistischen Flugblättern schmuggeltener über Güterzüge, die auf dem Zollbahnhof auf ihre Zollabfertigung warteten, hinüber ins Deutsche Reich. 1935 floh die Familie nach Frankreich, wo sich später vor den Spitzeln der Gestapo in die Berge zurückzogen und der französischen Partisanenbewegung anschlossen.
Der Bahnhof war nun seiner Zoll-Funktionen beraubt worden, war das Saargebiet doch zwischenzeitlich 1935 freiwillig "heim ins Reich gekehrt". Als "Westbahnhof" diente er nun der Verschiebung von Truppen und Munition gen Westen, von Kohle und Stahl in Richtung übriges Deutschland - und war somit in der zweiten Hälfte des Weltkrieges immer häufiger ein begehrtes Angriffsziel der alliierten Jagdbomber. Bei den zahllosen Bombardements wurden die Anlagen des ehemaligen Zollbahnhofes zusehends zerstört, und was nach dem Untergang des "Dritten Reiches" noch davon übrig war, wurde schon mit Beginn der 50er Jahre Zug um Zug abgebaut.

Und parallel zu den verschiedenen Phasen der Demontage begann in den jeweils verlassenen Teilbereichen eine ungestörte Entwicklung von Fauna und Flora. Ein großer Bereich des Geländes ist inzwischen sogar so abgeschieden, streckenweise auch so unzugänglich, dass kein Mensch mehr auf die Idee kommen würde, dort herumzuspazieren. Heute finden sich an dieser Stelle die größten zusammenhängenden Trockenrasen des Saarlandes. Nicht weniger als 69 Vogelarten können dort beobachtet werden, darunter besonders häufig die Nachtigall, der Orpheusspötter oder der Neuntöter. Die wärmeliebende Mauerdeidechse, in saarpfälzischen Gefilden eine ausgesprochene Rarität und ansonsten eher in warmen, südlichen Gegenden heimisch, begegnet im ehemaligen Zollbahnhof auf Schritt und Tritt.

Zahlreiche Gutachten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven wurden zwischenzeitlich auch Gutachten über die Zollbahnhof erstellt. Gemeinsam haben alle, dass sie die Ausnahmestellung des Geländes unterstreichen. Bestätigt wurden die Aussagen letzthin von einer Studie, die von der Deutschen Bahn AG in Auftrag gegeben worden war. Ursprünglich war nämlich angedacht, die Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge diagonal durch den Zollbahnhof verlaufen zu lassen.

Dass in diesem Fall Flächen, die laut dem neuen Gutachten von überregionaler Bedeutung für den Naturschutz sind, in Mitleidenschaft oder zerstört würden, ist eine zentrale Aussage dieser Untersuchung. Derlei Pläne wurden aber wieder ad acta gelegt, das inzwischen in Gang gebrachte "Planfeststellungsverfahren" sieht lediglich noch einer "Ertüchtigung" der derzeitigen Linienführung am südlichen Rand des Zollbahnhofes vor.

Ein anderes Problem ist indes nach wie vor nicht aus der Welt: die Verseuchung des Grundwassers. Ende der 1980er Jahre sorgte die Nachricht für Besorgnis, dass das Wasser, das über das "Wasserwerk Beeden" in Altstadt gefördert wurde, hochgradig mit dem Totalherbizid Bromazil belastet ist. In einem Großteil der Brunnen auf Altstadter und Homburger Gemarkung waren die Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten.


Nach jahrelangen Recherchen konnte ein recht kleine Fläche inmitten des Zollbahnhofes als Ausgangsherd für die Belastung ausfindig gemacht werden. Nach Angaben von ehemaligen Bahnarbeitern wurden dort über die Jahre hinweg die "Spritzzüge" der Bahn "gereinigt". Kostenintensive Bodensanierungsmaßnahmen laufen seither, ohne dass bisher ein Ende der Belastung des Grundwassers mit dem Pflanzenvernichtungsmittel in Sichtweite absehbar wäre.
Freuen können sich indes Eidechse, Neuntöter, Mauerblümchen und Co: Im Entwurf für den neuen Landesentwicklungsplan "Umwelt" wird das Areal für rare Arten nicht mehr als Industriegebiet, sondern als Vorranggebiet für Naturschutz festgelegt. Ein neues Kapitel in der Historie des Zollbahnhofes könnte also bald aufgeschlagen werden.

Text und Foto: Martin Baus

Natur im Gelände des ehemaligen Zollbahnhofs 2001

Dem Ginster geht es Jahr für Jahr an den Kragen - NABU Altstadt betreibt Trocken-Rasenpflege.

"Mauer-Hungerblümchen", "Platterbsen-Wicke", "Nelkenhafer", "Dreifinger-Steinbrech", "Bauernsenf" oder "Kahle Gänsekresse": Lang ist die Liste jener Pflanzenarten, die auf dem Gelände des ehemaligen Zollbahnhofes zu finden sind. Das Besondere an ihnen ist, daß es sie sonstwo so gut wie nicht mehr gibt. Und weil sie eben vom Aussterben bedroht sind, stehen diese Spezies auf der "Roten Liste" und sind per "Artenschutzverordnung" auch besonders geschützt. Gemeinhin gehören diese ziemlich unscheinbaren Gewächse zu den "Trockenrasen", Gesellschaften von Pflanzen, die nährstoffarme und trockenheiße Böden besiedeln. Auf dem Gelände des ehemaligen Zollbahnhofes finden sich derartige Trockenrasen auf einer Fläche von etwa 100.000 Quadratmetern. "Mit dieser Ausdehnung dürfte das die größte zusammenhängende Fläche im gesamten Saarland darstellen", urteilt der Botaniker Peter Wolff, der gleichzeitig auch Mitautor des "Gefäß-pflanzenatlas des Saarlandes" ist.

Um nun eine weitere Ausdehnung dieser so seltenen Pflanzen zu ermöglichen, ist es der Altstadter Naturschutzbund (NABU), der alljährlich zwecks "Rasenpflege" ans Werk geht. Seit geraumer Zeit ist der Umweltverband Eigentümer von Grund und Boden im Bereich des Zollbahnhofes, so daß nunmehr gezielte Pflegemaßnahmen ohne größeren bürokratischen Aufwand wie etwa Genehmigungsverfahren möglich sind. An den Kragen oder besser: an die Wurzel ging es dabei insbesondere dem Ginster. Ihm wird mit Hacke und Astschere zu Leibe gerückt, um den besagten, viel selteneren Pflanzen neuen Lebensraum zu schaffen. Gleichzeitig wird der Sandboden aufgelockert, selbst wenn er leicht gefroren ist. Für die kleinen Blumen und Gräser der Trockenrasen wird die Ansiedlung auf offener Fläche dadurch einfacher.

Im übrigen sind es nicht allein Pflanzen, die von dem Pflegeeinsatz des Naturschutzbundes profitieren. Wer es wagt, im Sommer einen Beobachtungsgang zur jetzt bearbeiteten Fläche zu unternehmen, der wird sich wundern, was bei sengender Hitze dort alles kreucht und fleucht. Vor allen Dingen die ebenfalls vom Aussterben bedrohten Mauereidechsen sind es, die durch die Aktivitäten des Naturschutzbundes am Zollbahnhof zahlreicher geworden sind. Je höhere Temperaturen die Quecksilbersäule anzeigt, desto mehr von diesen flinken Reptilen kann man Baden in der prallen Sonne zuschauen.

Die entfernten "Bremmen" und sonstiges Geäst werden übrigens ganz naturnah entsorgt. An einer abseitigen Stelle aufeinander geschichtet, bieten sie wie eine Hecke allerlei Tieren wie dem Igel oder Vögeln und Insekten Zuflucht und Unterschlupf.

Text: Martin Baus